Die Kompass-Reihe für Studierende

Ein Blog- und Buchprojekt von Dr. Stephan Pflaum

Über die Selbstreflexion im Mentoringprozess

„Kannst du mir bei meinem Praktikum helfen?“ – „Ich suche einen Job in deiner Branche.“ – „Hast du Kontakte, die mir weiterhelfen könnten?“ Wenn Studierende sich für ein Mentoring-Programm anmelden, haben viele genau diese konkreten Erwartungen im Kopf. Sie hoffen auf schnelle Lösungen, auf den direkten Draht zu einer spannenden Stelle oder zumindest auf Insider-Tipps für den Berufseinstieg. Das ist nachvollziehbar und auch nicht grundsätzlich falsch. Doch die Forschung zeigt: Der größte und nachhaltigste Nutzen von Mentoring liegt woanders.

Befragungen von Mentees haben ergeben, dass gerade die Erkenntnisse zur eigenen Person im Mentoring als hoch wertvoll und häufig bedeutsamer empfunden wurden, als Themenblöcke wie die konkrete Karriereplanung.“ Wer hätte das gedacht? Die persönliche Selbstreflexion schlägt die Jobvermittlung.

Warum ist das so?

Ein konkretes Praktikum oder ein Tipp für eine Bewerbung sind punktuelle Hilfen, die dir im Moment weiterhelfen. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion hingegen ist eine Kompetenz, die dich durch deine gesamte Karriere begleitet. Wer sich selbst, seine Stärken, Schwächen, Motivationen und Werte gut kennt, trifft bessere Entscheidungen. Nicht nur bei der Frage, welcher Job der richtige ist, sondern auch dabei, wie du mit Krisen umgehst, welche Weichen du stellst und wo du langfristig hinwillst.

Lass uns das konkret machen. Stell dir vor, du bist unsicher, ob du nach dem Bachelor direkt in den Master gehen oder erst einmal arbeiten solltest.

„Mach den Master, das ist wichtig für die Karriere.“

„Arbeite erst, das gibt dir Praxis.“

Welche Aussage fühlt sich für dich richtiger und für den Moment deines Lebens passender an? Beides sind Aussagen, die zu deiner Situation passen können oder nicht. Ein Mentor kann folgende Fragen mit dir durchspielen:

„Was treibt dich gerade an, was bewegt dich und warum?“

„Was ist dir jetzt wichtig und warum?“

„Was verändert ein Master in deinem Leben? Was kannst Du bereits mit deinem Bachelor erreichen?

Erst wenn du diese Fragen für dich beantwortet hast, kannst du eine Entscheidung treffen, die wirklich zu dir passt.

Ein Mentee formulierte es einmal so:

„Ich wollte eigentlich nur wissen, wie ich meinen Lebenslauf besser gestalte. Aber mein Mentor hat mir durch seine Fragen bewusst gemacht, dass ich gar nicht wusste, was ich eigentlich will. Diese Erkenntnis wirkte zunächst irgendwie unbequem, aber war extrem wertvoll. Erst danach konnte ich den Lebenslauf so schreiben, dass er nicht nur zu dem passt, was ich bislang machte, sondern auch zu dem, was ich künftig erreichen will.“

Mentoring kann die Abkürzung zum Traumjob sein, vielmehr aber ist Mentoring Raum und Zeit der Selbstreflexion. Ein Raum, in dem dir jemand mit Erfahrung einen Spiegel vorhält und dich dabei unterstützt, dich selbst besser zu verstehen.

Und hier liegt auch der Unterschied zwischen einem Mentor als Experten und einem Mentor als Coach. Beide Rollen haben ihre Berechtigung, doch die wirkliche Magie entsteht, wenn Mentorinnen beides verbinden können. Sie teilen ihre Erfahrungen, geben konkrete Tipps, wenn es angebracht ist, stellen aber vor allem die richtigen Fragen. In meiner Forschung habe ich festgestellt, dass die erfolgreichsten Mentoring-Beziehungen genau diese Balance gefunden haben. Mentorinnen, die ausschließlich Ratschläge geben, ohne auf die Persönlichkeit und Situation des Mentees einzugehen, werden als weniger hilfreich empfunden. Genauso wie Mentoren, die sich komplett zurücknehmen und keine eigenen Erfahrungen teilen.

Was bedeutet das nun konkret für dich, wenn du an einem Mentoring-Programm teilnimmst oder darüber nachdenkst? Hier sind einige Gedanken, die dir helfen können, das Beste aus der Erfahrung herauszuholen.

Erstens: Komm mit offenen Fragen, nicht mit fertigen Erwartungen. Natürlich darfst du dir einen Job oder ein Praktikum wünschen, aber mach das nicht zum alleinigen Ziel. Sei offen dafür, dass die wertvollsten Erkenntnisse oft aus Gesprächen entstehen, die in eine ganz andere Richtung gehen als ursprünglich geplant. Eine Mentee berichtete mir: „Ich wollte über Bewerbungsstrategien sprechen, aber mein Mentor fragte mich: Warum willst du eigentlich in diesen Bereich? Diese eine Frage hat alles verändert. Ich habe gemerkt, dass ich dem falschen Ziel hinterhergerannt bin.“

Zweitens: Trau dich, ehrlich zu sein. Mentoring funktioniert nur, wenn du dich öffnest. Das bedeutet nicht, dass du dein Herz ausschütten musst, aber es bedeutet, dass du auch über Unsicherheiten, Ängste und Zweifel sprechen solltest. Viele Studierende haben das Gefühl, sie müssten sich vor ihrem Mentor als besonders kompetent präsentieren. Das Gegenteil ist der Fall. Mentorinnen schätzen es, wenn Mentees reflektiert über ihre Schwächen sprechen können. Das zeigt Reife und Selbstkenntnis.

Drittens: Nutze das Feedback deines Mentors als Spiegel. Wenn deine Mentorin dir sagt, dass sie dich als eher introvertiert wahrnimmt, ist das keine Kritik, sondern eine Beobachtung. Frage dich: Stimmt das? Und wenn ja, was bedeutet das für meine Karriereplanung?

Viertens: Dokumentiere deine Erkenntnisse. Schreib nach jedem Gespräch mit deinem Mentor oder deiner Mentorin auf, was dir bewusst geworden ist. Weniger, was exakt besprochen wurde, sondern was du über dich selbst gelernt hast. Diese Notizen sind Gold wert, wenn du später vor wichtigen Entscheidungen stehst.

Fünftens: Erwarte nicht, dass dein Mentor oder deine Mentorin dir Entscheidungen abnimmt. Gute Mentorinnen tun das bewusst nicht. Sie begleiten dich im Prozess, aber die Entscheidung triffst du selbst. Das mag in manchen Momenten enttäuschend sein, weil du dir eine klare Ansage wünschst. Aber langfristig ist es genau das, was dich stärker macht. Denn du lernst, Verantwortung für deine Entscheidungen zu übernehmen.

Warum machen Mentor:innen dieses Ehrenamt?

Auch Mentorinnen profitieren enorm von dieser Art des Austauschs. Über 60 Prozent der Mentoren geben bei der Anmeldung zu Programmen an, dass sie selbst gerne einen Mentor gehabt hätten und sich deshalb engagieren. Sie wollen zurückgeben, was sie sich gewünscht hätten. Und dabei reflektieren sie oft ihre eigene Karriere neu.

Das ist das Schöne an Mentoring: Es ist keine Einbahnstraße. Beide Seiten gewinnen durch den Prozess der Reflexion. Der Mentee lernt sich selbst besser kennen, der Mentor schärft seine eigene Perspektive. Das funktioniert aber nur, wenn beide Seiten bereit sind, sich auf diesen Prozess einzulassen.

Das heißt nicht, dass konkrete Hilfen unwichtig wären. Natürlich ist es toll, wenn der Mentor dir ein Praktikum vermittelt oder dich einem wichtigen Kontakt vorstellt. Diese Dinge passieren auch und sind wertvolle Nebeneffekte. Aber sie sollten nicht der Hauptgrund sein, warum du dich für ein Mentoring-Programm anmeldest. Der Hauptgrund sollte dein Wunsch sein, dich selbst besser zu verstehen und fundierte Entscheidungen für deine Karriere treffen zu können.

Ein letzter Gedanke: Selbstreflexion ist kein einmaliger Akt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Das Mentoring ist ein intensiver Impuls, aber idealerweise nimmst du die Fähigkeit zur Selbstreflexion mit in deinen Alltag. Stell dir regelmäßig Fragen wie: Was hat mich heute motiviert? Was hat mich frustriert? Welche Werte sind mir wichtig? Wo will ich in fünf Jahren stehen? Je besser du diese Fragen für dich beantworten kannst, desto klarer wird dein Weg.

Und das Beste: Man kann im Leben immer wieder neue Wege einschlagen. Deine Entscheidungen sind im Hier und Jetzt immer richtig. Und wenn Fehler bei einer Entscheidungn passieren, lernst du für deine nächste Entscheidung daraus.

Die wichtigste Fähigkeit, die du aus einem Mentoring mitnehmen kannst, ist nicht die Kenntnis darüber, wie man eine perfekte Bewerbung schreibt oder welche Firma gerade Praktikantinnen sucht. Die wichtigste Fähigkeit ist, dich selbst zu kennen. Denn wenn du weißt, wer du bist, was du willst und was dir wichtig ist, dann findest du deinen Weg. Vielleicht nicht immer auf dem schnellsten, direkten Pfad, aber mit Sicherheit auf einem Pfad, der zu dir als Person passt.

Der Weg ist stets das Ziel, heißt es so schön und so treffend.

Hier kommst Du zum Mentoring-Programm der LMU München.

Und hier kommst Du zu meiner empirischen Studie zum Mentoring am Übergang von Studium in den Beruf.


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