Vom Smalltalk zur globalen Kompetenz
Stellt euch vor: Ihr steht bei eurem ersten Networking-Event in Shanghai, ein potenzieller Arbeitgeber reicht euch die Visitenkarte – und ihr nehmt sie mit einer Hand entgegen und steckt sie achtlos in die Hosentasche. Gratulation, ihr habt gerade einen kapitalen Fauxpas begangen, der euch die Karrierechance kosten könnte. In China werden Visitenkarten mit beiden Händen überreicht und empfangen, aufmerksam studiert und respektvoll verstaut.
Warum Knigge mehr ist als verstaubte Regeln
In meinen 25 Jahren als Karriereberater und Recruiter habe ich erlebt, wie oft exzellente Fachkenntnisse durch mangelnde Etikette zunichte gemacht wurden. Business-Knigge ist kein antiquiertes Regelwerk, sondern eure Eintrittskarte in die internationale Arbeitswelt. Es geht um Respekt, kulturelle Sensibilität und die Fähigkeit, sich souverän auf jedem Parkett zu bewegen.
Wie ein Mentee mir kürzlich berichtete: „Da schwang auch immer so etwas wie ein Business-Knigge mit. Viele Dinge, wie man sich in bestimmten Situationen verhält, waren mir bis dato unbekannt. Sein Rat hat mir sehr weitergeholfen, mich in einer neuen Unternehmenskultur schnell zurechtzufinden.“
Smalltalk: Die unterschätzte Superkraft
Smalltalk ist wie das Aufwärmprogramm vor dem Sport – unerlässlich für den Erfolg. Doch was in München funktioniert, kann in Tokio komplett danebengehen. Hier exemplarische Do’s und Don’ts:
Deutschland 🇩🇪
Was geht: Wetter, aktuelle (unkontroverse) Nachrichten, Hobbys, Reisen, berufliche Entwicklung Was nicht geht: Gehalt, Religion, Politik (außer sehr oberflächlich), zu persönliche Gesundheitsthemen Besonderheit: Deutsche kommen schneller zum Punkt – nach 5 Minuten Smalltalk darf es gerne inhaltlich werden.
Frankreich 🇫🇷
Was geht: Kunst, Kultur, Essen(!), Philosophie, aktuelle gesellschaftliche Debatten Was nicht geht: Direkt nach dem Beruf fragen, Geld, zu schnell zum Geschäftlichen übergehen Besonderheit: Franzosen lieben intellektuellen Austausch – zeigt Bildung und Interesse an Kultur.
UK 🇬🇧
Was geht: Wetter (Klassiker!), Sport, leichte Selbstironie, aktuelle TV-Shows Was nicht geht: Zu direkte Fragen, Politik (Brexit!), Einkommen, zu viel Eigenlob Besonderheit: Britisches Understatement beachten – „not bad“ kann „exzellent“ bedeuten.
USA 🇺🇸
Was geht: Beruflicher Werdegang, Erfolge (durchaus selbstbewusst), Sport, Heimatstadt Was nicht geht: Kritik an Amerika, zu viel Negativität, Religion und Politik (sehr polarisierend) Besonderheit: Amerikaner mögen Optimismus und positive Energie – „How are you?“ ist Begrüßung, keine echte Frage.
Ghana 🇬🇭
Was geht: Familie, Gemeinschaft, gegenseitiges Wohlergehen, lokale Traditionen Was nicht geht: Zu schnell geschäftlich werden, Ungeduld zeigen, Stammeszugehörigkeit direkt erfragen Besonderheit: Zeit für Beziehungsaufbau einplanen – Vertrauen entsteht durch persönlichen Austausch.
China 🇨🇳
Was geht: Essen, Heimatregion, Familie (oberflächlich), gegenseitiges Lob Was nicht geht: Politik, Taiwan/Hongkong, zu direkte Kritik, „Gesichtsverlust“ verursachen Besonderheit: Hierarchien beachten, Visitenkarten-Zeremonie, Gastgeschenke sind wichtig.
Japan 🇯🇵
Was geht: Jahreszeiten, Essen, gegenseitige Herkunft, bescheidene Selbstdarstellung Was nicht geht: Zu direkte Meinungsäußerung, Privatangelegenheiten, lautes Verhalten Besonderheit: „Lesen zwischen den Zeilen“ – ein „Das ist schwierig“ bedeutet oft „Nein“.
Südafrika 🇿🇦
Was geht: Sport (besonders Rugby/Cricket), Natur, Braai (BBQ), lokale Erfahrungen Was nicht geht: Apartheid (sensibles Thema), Kriminalität überbetonen, Stammeszugehörigkeit Besonderheit: Multikulturell – flexibel auf verschiedene kulturelle Hintergründe eingehen.
Praxistipps für euren Erfolg
- Vorbereitung ist alles: Recherchiert vor internationalen Treffen die kulturellen Gepflogenheiten
- Körpersprache beachten: Was bei uns freundlich wirkt (z.B. Daumen hoch), kann anderswo beleidigend sein
- Sprachkenntnisse zeigen: Ein paar Worte in der Landessprache öffnen Türen – selbst wenn’s nur „Guten Tag“ und „Danke“ sind
- Beobachten und adaptieren: Schaut, wie sich Locals verhalten und passt euch an
- Authentisch bleiben: Knigge bedeutet nicht, sich zu verstellen, sondern respektvoll die eigene Persönlichkeit zu zeigen
Der digitale Knigge
In Zeiten von Teams, Zoom und LinkedIn gelten neue Regeln:
- Kamera an bei wichtigen Meetings (außer anders vereinbart)
- Mute, wenn ihr nicht sprecht
- LinkedIn-Anfragen immer mit persönlicher Nachricht
- E-Mail-Antwortzeit: 24-48 Stunden sind Standard
Fazit: Etikette als Karriere-Booster
Business-Etikette ist keine lästige Pflicht, sondern euer Wettbewerbsvorteil. In einer globalisierten Arbeitswelt, wo ihr heute in München, morgen in Mumbai und übermorgen in Manhattan arbeiten könntet, ist kulturelle Kompetenz Gold wert.
Fachkompetenz bringt euch zum Vorstellungsgespräch, aber Sozialkompetenz bringt euch den Job. Investiert in eure Etikette-Skills – sie zahlen sich ein Berufsleben lang aus.
Euer Karriere-Kompass Tipp: Startet heute! Beim nächsten Networking-Event oder Praktikum bewusst auf Smalltalk-Regeln achten. Übung macht den Meister – und den souveränen Professional von morgen.
Am meisten über die Etikette eines Landes lernt man beim Auslandssemester und/oder Auslandspraktikum.


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